Description
Agnolo Bronzino,
1503 Florenz - 1572
APOLL UND MARSYAS
Öl auf Nussholz.
82 x 122,5 cm.
Wie den beiden wichtigsten Quellen zur Geschichte der florentinischen Kunst, Le Vite (1568) von Giorgio Vasari und Il Riposo von Raffaello Borghini (1584), zu entnehmen ist, malte Bronzino die klassische Sage von Apoll und Marsyas in Anlehnung an die Metamorphosen des Ovid zum ersten Mal als junger Mann, als er sich am Hofe des Herzogs Francesco Maria della Rovere aufhielt (1530 - 1532/ 33). Vasari berichtet in Vita di Jacopo da Pantormo, dass Bronzino für den jungen Guidobaldo unter anderem „einen Cembalo Kasten bemalte, der dem Prinzen sehr gefiel“ und weiter, in der Biographie Bronzinos, dass „dieser im inneren eines Cembalokastens für Guidobaldo von Urbino die Sage von Apoll und Marsyas mit vielen Figuren malte. Ein sehr seltenes und rares Werk“.
Das vorliegende Gemälde stellt vier verschiedene, klar erkennbare Momente der ovidischen Erzählung dar, allerdings gegen jegliche erzählerische Gewohnheit von rechts nach links, also genau gegen den eigentlichen Leseverlauf eines Buches. Daher befindet sich auf der rechten Seite des Bildes der Wettstreit zwischen Apoll und Marsyas, der soeben vor Athene und König Midas die Flöte spielt. In der Bildmitte ist zu sehen wie Apoll nach dem gewonnen Wettstreit dem unvorsichtig hochmütigen Marsya mit einem Messer grausam die Haut abzieht. Im weiteren Verlauf stellt der Maler Apoll dar, als dieser Midas - dem die Musik Marsyas ausdrücklich besser gefiel - vor Athene lächerlich macht, indem er ihm ein Paar Eselsohren aufsetzt. Ganz links sieht man den Barbier von Midas, der dem König am Flussufer das Geheimnis der Eselsohren enthüllt. An dieser Stelle des Flusses wachsen hierauf sprechende Schilfrohre, die dem Wanderer von der gemeinen Entstellung des Königs durch Apoll erzählen.
Das hier vorliegende Werk erweckte 1995, dank John Spike, nach langen Jahren der Vergessenheit wieder Interesse. Der Historiker ging später noch öfter auf dieses Gemälde ein und trug viel zur Klärung wichtiger Punkte wie Urheberschaft, Ikonografie und Geschichte bei (siehe J. Spike 1995, 2000, 2002, 2004). Unweigerlich muss man bei diesem Gemälde an das Bronzino zugeschriebene Werk gleichen Inhalts denken, das seit 1865 in der Eremitage in St. Petersburg zu sehen ist, nachdem es der bedeutenden Mailänder Sammlung Duca Litta abgekauft worden war. Dieses Werk (Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 48 x 119 cm) war schwer zuzuordnen. Lange Zeit wurde es Correggio zugeschrieben, was der Grund für die Aufnahme in die berühmte russische Sammlung war. Dieses Missverständnis bei der Benennung des Autors, aus heutiger Sicht schon stilistisch fast unglaublich, rührte daher, dass ein antiker Kupferstich (1562) des Venezianers Giulio Sanuto, der das Werk von Bronzino aufgriff, behauptete, er habe zu diesem Zwecke eine Zeichnung (so die Inschrift) „nach einem Werk des berühmten Antonio da Correggio“ angefertigt.
Auch wenn bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erste Zweifel unter den Experten auftraten, war es doch erst Hermann Voss (1913 und 1920), der sich entschieden für Bronzino aussprach, indem er das Werk mit den beiden Zitaten von Vasari und Borghini in Verbindung brachte. Danach gab es keine Zweifel mehr an dieser Zuordnung. Zudem entdeckte man, erneut dank Hermann Voss, eine Skizze, die eindeutig von Bronzino stammt (heute Département des Arts Graphique, Louvre; INV. 5923). Dabei handelt es sich um zwei exquisite Rötelzeichnungen männlicher Akte, eindeutig Vorstudien zu Apoll und Marsyas: auf der Vorderseite des Blattes sieht man Marsyas, der die Panflöte spielt, auf der Rückseite König Midas, der dessen Hinrichtung beiwohnt.
In seinen vielen Studien zu diesem Gemälde plädiert Spike eloquent dafür, dass es sich hier um jenen, laut Vasari so besonderen „Harpsichord Kasten“ handeln dürfte, den Bronzino für Guidobaldo della Rovere während seines Aufenthalts in Pesaro anfertigte. Tatsächlich erkennt man hier Ähnlichkeiten mit anderen Werken Bronzinos aus der gleichen Zeit, vor allem mit den „Diecimila martiri“ (Zehntausend Märtyrer) in den beiden Fassungen in den Uffizien und der Galleria Palatina in Florenz, einer an Michelangelo erinnernde Darstellung komplexer männlicher Akte. Andererseits sind hier auch Anklänge an Correggio und Parmigianino erkennbar, sicherlich bedingt durch den Aufenthalt bei den Herzögen della Rovere. Spike erklärt, was Vasari und Borghini meinen, wenn sie von einer „cassa di arpsicordo“ sprechen (Harpsichord, auch Clavichord genannt, einem Vorläufer des Clavicembalo), nämlich jene Art Kasten, eben besagte „cassa“, die das Instrument bei Transporten schützte. Dieser „Kasten“ war zumeist gleichmäßig geformt und rechteckig. Diesem Zweck könnte, wegen seiner Größe, nun eher unser Gemälde als das der Eremitage gedient haben. Auch erklärt sich hieraus die Wahl einer Nussholztafel als Maluntergrund, ein in der italienischen Malerei äußerst selten verwendetes Material. Die beiden Gemälde weisen gewisse Unterschiede auf, besonders bei der Gestaltung der Landschaft, die bei unserem Werk wesentlich üppiger und detaillierter ist. Man kann ohne weiteres sagen, dass es sich dabei um eine der schönsten von Bronzino gemalten Landschaften handelt. Der Betrachter blickt hier links in ein Tal mit an Leonardo erinnernden Felsen und Anhöhen. Rechts und in der Mitte hingegen erheben sich zwei große Burgen, die auf der Fassung in St. Petersburg gänzlich fehlen. Besonders die mittlere, imposante Festung gewinnt durch ihre Größe an allegorischer Bedeutung, da sie ganz eindeutig an die Rocca di San Leo erinnert, eine Burg unweit von Pesaro, die der Verteidigung des Herzogtums diente und hier zum Symbol der Macht der Herzöge della Rovere wird.
Literatur:
J. Spike, L’Apollo e Marsia del Bronzino, in “FMR”, Nr. 109, 1995, S. 14-24.
J. Spike, La favola di Apollo e Marsia di Agnolo Bronzino, Florenz, 2000.
J. Spike, Apollo e Marsia dipinto da Bronzino a Pesaro per Guidobaldo II Della Rovere, in “I Della Rovere nell’Italia delle corti”, Symposium Urbania, 16-19 September 1999, Urbino, 2002, II, S. 69-78.
J. Spike, in I Della Rovere. Piero della Francesca, Raffaello, Tiziano, Ausstellungskatalog Urbino, Pesaro, Urbania, Mailand, 2004, S. 375, Nr. X.4. (1021601) (21)
Agnolo Bronzino,
1503 Florence - 1572
APOLLO AND MARSYAS
Oil on walnut panel.
82 x 122.5 cm.
As can be gathered from the two most important sources on the history of Florentine Art, Le Vite (1568) by Giorgio Vasari and Il Riposo by Raffaello Borghini (1584), Bronzino painted the classic myth of Apollo and Marsyas based on Ovid’s Metamorphoses for the first time as a young man, during his stay at the court of Duke Francesco Maria della Rovere (1530 - 1532/33). In Vita di Jacopo da Pantormo Vasari reports that for the young Guidobaldo, Bronzino “painted a harpsichord case, which the Prince liked very much” and further, in Bronzino’s biography, that “he painted on the inside of a cembalo case for Guidobaldo of Urbino, the myth of Apollo and Marsyas with many other figures. A very unusual and rare work.”
The present painting shows four different, clearly distinguishable scenes from Ovid's tale, but these are depicted so that one reads them from right to left, contrary to Western reading habits. The right of the painting thus shows the contest of Apollo and Marsyas, who is in the process of playing the flute before Athena and King Midas. The centre of the image depicts Apollo holding a knife and brutally skinning Marsyas after his carelessly arrogant behaviour following his winning the contest. The painter then depicts Apollo who ridicules Midas (who expressly preferred Marsyas’ music) in front of Athena by donning him with a pair of ass’s ears. Leftmost, Midas’ barber can be seen revealing the secret of the ass’s ears on the bank of a river. Thereafter, talking reeds grow at this river site telling future wanderers of the King's cruel disfigurement by Apollo.
After having fallen into oblivion for many years the present painting aroused interest again in 1995 thanks to John Spike. The historian debated the painting on several occasions, greatly contributing to clarification of many important questions such as its authorship, iconography and history (compare J. Spike 1995, 2000, 2002, 2004). The present painting inevitably brings to mind a work with the same subject, attributed to Bronzino, which has been on display at the Hermitage in St Petersburg since 1865 having been purchased from the important Milanese Duca Litta Collection. Historically it has proven difficult to attribute the St Petersburg painting (oil on panel, mounted on canvas, 48 x 119 cm). For many years it was attributed to Correggio, which was the reason for its incorporation into the famous Russian Hermitage Collection. From today’s perspective such an attribution seems unfathomable even on stylistic grounds alone. The misunderstanding in the attribution to an author stems from an antique copper engraving (1562) by the Venetian Giulio Sanuto, who took up a work by Bronzino, claiming that he had a drawing produced for this purpose (so the inscription) “after a work by the famous Antonio da Corregio“.
Although doubt was already cast over that attribution by art experts in the first half of the 19th century, it was not until the 20th century (1913 and 1920) that Hermann Voss argued convincingly for an attribution to Bronzino by making a connection between the two quotes from Vasari and Borghini and the present painting. Thereafter the Bronzino attribution was no longer questioned. Again thanks to Voss, a further discovery was made of a sketch unambiguously by the hand of Bronzino (today held at the Département des Arts Graphique, Louvre; inventory no. 5923). The sketch shows two exquisite red chalk drawings of male nudes, obvious preliminary studies for Apollo and Marsyas: the front of the sheet shows Marsyas playing the flute, the reverse shows King Midas witnessing his execution.
In his many research studies regarding this painting Spike eloquently argues that this might be, the “harpsichord case” described by Vasari as so special, which Bronzino painted for Guidobaldo della Rovere during his stay in Pesaro. There are de facto similarities with other works by Bronzino from the same period: above all the “Diecimila martiri” (Ten Thousand Martyrs) in both versions held in Florence at the Uffizi and the Galleria Palatina, a depiction of complex male nudes reminiscent of Michelangelo’s style. On the other hand affinities with Correggio and Parmigianino are discernable in the present painting, certainly attributable to Bronzino’s stay with the Dukes della Rovere. Spike explains what Vasari and Borghini mean when they speak of a “cassa di arpsicordo” (the harpsichord, also known as “clavichord” was a predecessor of the “clavicembalo”), namely a type of case (“cassa”), protecting the instrument during transport. Such a case was usually evenly shaped and rectangular. Due to its dimensions it seems more likely that our painting rather than the Hermitage painting served for this purpose. This would also explain the use of walnut panels as base for the painting, a material used very rarely in Italian painting. There are other differences between the two paintings, especially in the depiction of the landscape, which is far more lush and detailed in our work, surely one of the most beautiful landscapes ever painted by Bronzino. To the left, the beholder looks into a valley with rocks and hills evocative of Leonardo da Vinci. To the right and at the centre two large castles are looming which are entirely absent from the St Petersburg version. Due to its large size the impressive fortress at the centre especially stands out and gains allegorical importance as it is clearly reminiscent of the “Rocca di San Leo”, a castle near Pesaro, which served to defend the dukedom and here becomes a symbol of power of the Dukes della Rovere.
Literature:
J. Spike, L’Apollo e Marsia del Bronzino, in “FMR”, no. 109, 1995, p. 14-24.
J. Spike, La favola di Apollo e Marsia di Agnolo Bronzino, Florence, 2000.
J. Spike, Apollo e Marsia dipinto da Bronzino a Pesaro per Guidobaldo II Della Rovere, in “I Della Rovere nell’Italia delle corti”, symposium Urbania, 16-19 September 1999, Urbino, 2002, II, p. 69-78.
J. Spike, in I Della Rovere. Piero della Francesca, Raffaello, Tiziano, Ausstellungskatalog Urbino, Pesaro, Urbania, Mailand, 2004, p. 375, no. X.4.